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Einleitung



Ton ist ein wunderbares Material. Er ist weich, knetbar und lässt sich in alle möglichen Gestalten und Formen verwandeln. Ton ist Erde und gehört damit zu den ersten Materialien, aus denen Menschen Objekte des täglichen Gebrauchs wie auch schon des künstlerischen Ausdrucks gemacht haben. Ton ist aber auch ein Produkt der vier Elemente: Erde und Wasser als seine Grundformeln, Luft zum Trocknen, Feuer, um ihn beständig und hart zu machen. Im Feuer vollzieht sich die entscheidende Metamorphose, in dessen ungeheueren Hitze nur das richtig Gemachte gelingt, das Mindere zerbricht. Am Ende verlangt das spielerische Formen des weichen Tons genaueste Kenntnisse von der Qualität des Materials, der notwendigen Dicke der Wandungen, der gefährlichen Bruchstellen. Den Fingern wird höchste Geschicklichkeit abverlangt, dann erst wird das Produkt makellos.

Margot Stöckl sind die Materialien der Natur nicht fremd. Geboren in eine Tischlerfamilie in Gerlos im hinteren Zillertal in Tirol wuchs sie mit Holz auf, machte eine Tischlerlehre und besuchte die HTL für Kunsthandwerk in Innsbruck. Ihre Heirat in eine Hoteliersfamilie in Stumm im Zillertal forderte dann aber bald alle Zeit und Kräfte für den täglichen Betrieb, allein in der Um- und Neugestaltung der Gaststättenräume konnte sie ihre Freude am kreativen Gestalten ausleben. Irgendwann aber kam der Punkt, wo es genug war und die Zeit reif, sich ganz der Kunst, dem Gestalten, den Ideen und dem eigenen Können zu widmen.

Eine Werkstätte in einem alten Bauernhaus wurde umgebaut – aus Holz, ihrem vertrauten Material, und Steinen entstanden erste Finger- und Ideenübungen, die am Ende aber nicht befriedigten. Erst ein Tonblock eines Bekannten brachte die Wende und jenes Medium, das den Neigungen und Vorstellungen von Margot Stöckl in kongenialer Weise entspricht. Und das Material hat seine Meisterin gefunden, die ohne Vorkenntnisse, ohne Kurse die Eigenschaften des Tons verstand, seine Potenziale auszukosten, seine Grenzen zu respektieren weiß.

Es ist auffallend, dass von Beginn an Köpfe entstehen, vollplastisch geformt und von beachtlicher Größe. Sicher nicht die einfachste Form, um sich mit dem Ton vertraut zu machen, verlangt sie doch ein kompliziertes spiegelverkehrtes Bearbeiten der Innenseite des Hohlraumes, um den Brand schadlos zu überstehen. Doch mit sicherem Gefühl macht die Künstlerin den Ton gefügig, fordert ihn heraus, indem sie die glatte Oberfläche mit tiefen Furchen durchzieht, Analogien zu den rauen Felsformationen der Heimat. Licht und Schatten verfangen sich in diesen Tälern als lebendige Akteure der Kunst.

Margot Stöckl ist ein Mensch der Natur, von ihr erhält sie ihre wichtigsten Inspirationen. Täglich macht sie lange Spaziergänge in den Wald, mit offenen Sinnen für die Schönheiten und teils bizarren Formgebungen von Wurzeln, Ästen, Felsen und den verschiedensten von anderen als Abfall weggeworfenen Dingen: das kann ein altes Eisenrohr sein, das vom Wasser seine spezielle Patina erhalten hat und als Sockel eine neue Verwendung findet. Das sind die verschiedensten Eisenteile, wie Sensen, Schaufeln, Sicheln, die einst wichtige Funktionen im bäuerlichen Alltag ausübten, losgelöst aber nun eine eigene Ästhetik des Handwerks und des Materials aufweisen. Margot Stöckl verbindet sie mit ihrer Keramik, als Kopfschmuck, als Gehänge, als Dornen, als Umrandung. Doch sind sie abnehmbar, eine Variable, die dem Gesicht wechselnden Ausdruck und Bedeutung verleiht.

Bedeutung ist ein Stichwort, mit dem die Künstlerin vorsichtig umgeht. Sie will nicht zu viel vorwegnehmen, will die Köpfe selber sprechen lassen und wählt Namen, die den Spielraum offen lassen. Verschiedene Gruppen entstehen, „Der Wissende“, „Der Visionär“, „Der Tollpatsch“, „Der Büßer“ betonen das menschlich Typische, im „Centurio“, „Irokese“, „Der Azteke“ bringt die Künstlerin ihre Faszination über die spezifischen Charakteristika von Volksgruppen zum Ausdruck, „Johannes“, „Satanas“ sind moderne Interpretationen religiöser Ikonographie. Die Köpfe werden zu Spiegelbildern des von Kultur, Schicksal, Empfindung geprägten Lebens.

So geformt, beginnt die zweite Metamorphose. Der fertig gebrannte, unbehandelte Ton konnte nicht genügen, verlangte nach weiterer Gestaltung. In einem aufwendigen Verfahren und in enger Zusammenarbeit mit der Gießerei Krismer aus Telfs – zu deren „Kunden“ auch Bruno Gironcoli zählt – wird ein Wachsmodell angefertigt, das in ein Keramikbad, dann ein Sandbad getaucht wird und in dessen entstandenen Hohlraum Aluminium, Messing und manches Mal auch Bronze gegossen wird. Die hellbraune erdige Oberfläche des Tons verwandelt sich in eine silbrig bis golden glänzende Haut, Erde wird zu Metall veredelt. Denkt man an die goldenen Gesichtsmasken der Toten im Kult früherer Völker so geschieht auch hier eine Art Mystifizierung. Die angefügten „objets trouvés“ werden zumeist in Messing abgehoben, verbunden und doch separat.

Margot Stöckls Skulpturen können überall stehen, sie strahlen Ruhe aus und lenken die Aufmerksamkeit auf sich. Sie fertigt aber auch aus speziell geschlägerten Eichen und Pappeln aus der Umgebung von Stams in Tirol Sockel an.

Nichts wird dem Zufall überlassen – außer dem Feuer.

Dr. Marianne Hussl-Hörmann